Alljährlich ruft der Texttreff zum Blogwichteln auf. Per Los werden Gastautorinnen für die teilnehmenden Blogs der wortstarken Frauen ausgelost.
Dieses Jahr hat mir die Losfee Dr. Hanne Tyslik zugewürfelt!

Dr. Hanne Tyslik befasst sich als freie Lektorin seit sechzehn Jahren mit der professionellen Veredelung von Texten, die sie in einem neuen Glanz erstrahlen lässt.

Ihr Leistungsspektrum: sorgfältiges Manuskriptlektorat für Verlage und Autoren (Roman und Sachbuch), Wissenschaftslektorat für akademische Texte, Textredaktion für Unternehmen und Industrie (Werbebroschüren, Flyer), Korrektur von Zeitschriften etc. Mehr unter www.text-feinschliff.de.

Sie ist ordentliches Mitglied im Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren (VFLL) und Netzwerkkollegin aus dem Texttreff.

Hanne Tyslik

Die Macht der Sprache

von Dr. Hanne Tyslik

Sprache macht den Menschen zu etwas Einzigartigem. Er bedient sich ihrer, um zu sprechen und zu schreiben, zu denken und zu dichten. Die Möglichkeiten, aus Sprache Wörter zu zaubern, sind unerschöpflich. Vor allem in der Literatur zeigt sich, welche Wirkung Sprache entfalten kann. Wir fiebern mit den Figuren einer Geschichte mit, die glaubhaft lieben, leiden, kämpfen und hassen und vergrößern, indem wir in ihre Welt eintauchen, unser Empathie-Potenzial.

Diktatur der Sprache

Im Science-Fiction-Thriller „Flammenalphabet“ von Ben Marcus ist Sprache kein gestaltbares Medium der Kommunikation, sondern Material, der Stoff an sich. Unvermittelt geraten die Leserinnen und Leser in eine Welt, in der die Freiheit der Menschen stark eingeschränkt wird, die Sprache selbst zum Diktator wird. Eine Sprachkrankheit breitet sich epidemisch aus, die von Kindern ausgeht. Sie selbst sind davon nicht betroffen, sie stecken jedoch ihre Eltern an, die daran sterben. Sogar das Verstehen hat seinen Preis. Es ist selbst eine Krankheit.

Eine Welt, in der Lesen und Erkenntnisgewinn lebensgefährlich sind, möchte man sich gar nicht vorstellen. Doch auch im alltäglichen Sprachgebrauch kann Sprache eine schädliche Wirkung entfalten. Worte wie „schnell“ und „müssen“ schaffen Zwänge, erzeugen Druck, schränken ein. Statt zu fragen „Wann müssen wir anfangen?“, können wir fragen „Wann fangen wir an?“ Auch wenn-dann-Sätze schränken unseren gestalterischen Denk- und Wirkungsradius stark ein. Üben Druck aus. Der Stress erzeugt.

Die heilsame Wirkung der Sprache

In der Medizin ist auf die Wahl der Worte besonders zu achten. Denn sie wirken sich maßgeblich auf den Heilungsprozess und die Lebensqualität der Patient:innen aus. Unbedacht und in Eile ausgesprochene Sätze wie „Sie müssen sich sofort operieren lassen“ oder „Wenn Sie keine Chemotherapie machen, dann …“ lösen Ängste aus. Sie nehmen Betroffenen ihre Selbstbestimmung und wirken entmutigend, weil eine Behandlung von oben herab verordnet wird. Patient:innen wollen aber eine aktive Rolle einnehmen und über ihren Heilungsweg mitentscheiden. Das geht nur in einem Dialog auf Augenhöhe.

Gelingt es Ärzt:innen, zu den ihnen Anvertrauten eine „professionelle Nähe“ aufzubauen und sie mit ehrlichen Worten zu berühren, können diese sich als selbstwirksam erleben,  Selbstheilungskräfte mobilisieren und Energieressourcen aktivieren.

Auch die Vorstellung, mit Zellgiften behandelt zu werden, kann keineswegs Vertrauen erwecken oder beruhigen. Denn wie könnten Gifte eine Heilung herbeiführen? Gegen hochwirksame Medikamente hat dagegen niemand etwas einzuwenden. Genauso wenig wie gegen eine sanfte Therapie, die die eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund stellt.

Karrierefördernde Sprache

In einem Bewerbungsanschreiben rückt eine Kandidaten oder ein Kandidat seine Fähigkeiten in einer selbstbewussten Sprache ins rechte Licht. Ausdrucksstarke, aktive Verben vermitteln einen engagierten Eindruck. Genauso wichtig ist eine positive Haltung im Vorstellungsgespräch. Statt Probleme anzugehen, sind Herausforderungen zu meistern. Wörter wie Fehler, falsch, leider, unmöglich oder nicht sind zu vermeiden, damit kein verzagter, gar hilfloser Eindruck des Bewerbers entsteht. Genauso Passivsätze, die Fremdbestimmung signalisieren. Auch Modal- und Füllwörter (eigentlich, vielleicht, irgendwie) sind nicht gern gesehen, weil sie die Aussage abschwächen. Kurze, vollständige, klare Sätze dagegen schaffen Klarheit und Ordnung.

Die Sprache des Krieges. Die Arbeitswelt als imaginierter Kriegsschauplatz

Am Arbeitsplatz ist die „Kriegssprache“ weit verbreitet. Sie dient der Durchsetzung eigener Interessen. Die Worte schlüpfen in ein metaphorisches Gewand, deren ursprüngliche Bedeutung wir kaum noch wahrnehmen. Ihre Wirkung jedoch bleibt bestehen.

So können wir mit Arbeitskolleg:innen, die wir nicht allzu sympathisch finden, auf Kriegsfuß stehen. Womöglich meiden wir ihre Nähe und treten den Rückzug an. Oder wir führen bei einem Rededuell selbstbewusst – offensiv – unsere Argumente ins Feld. Dehnen, wenn wir uns sicher fühlen, unseren Feldzug aus. Bereiten Präventivschläge vor. Achten aber darauf, nicht zwischen die Fronten oder gar unter schweren Beschuss zu geraten. Das ist moderne Kriegführung am Arbeitsplatz. Mit messerscharfem Verstand und schlagkräftigen Argumenten schaffen wir es vielleicht, unsere Gegner in die Defensive zu treiben. Kann sein, dass sie dann verzagt kapitulieren. Oder sie gehen zum Gegenangriff über. Dann wird weiter Krieg geführt.

Mit Partnern, mit denen wir Bündnisse schließen möchten, führen wir Sondierungsgespräche. Unsere Kunden nehmen wir ins Visier, um zu überprüfen, ob unsere Marketingstrategie greift. In Gesprächen mit Kunden stehen wir Gewehr bei Fuß, um unsere ungeteilte Aufmerksamkeit zu bekunden. Und werden von diesen dann um einen Kostenvoranschlag gebeten. Oder wir überlegen unsererseits, wie wir sie geschickt um einen Vorschuss bitten.

Und immer noch fordern Lehrkräfte – trotz der besorgniserregenden Amok-Erfahrungen an Schulen – ihre Schüler:innen mit den Worten zum Sprechen auf: „Dann schieß mal los“!

Unseren Kindern sprachliche Vorbilder sein

Nun mag der ein oder andere einwenden, dass die Wirkung solcher Kriegsmetaphern wohl jedem mehr oder weniger bewusst sei. Dann schauen wir mal näher hin.

An den Begriffen lieb, brav, toll oder schön ist doch nichts auszusetzen, oder? Von ihnen scheint keine bedrohliche Wirkung auszugehen. Dennoch sollten sie mit Bedacht gewählt werden. Vor allem, wenn Kinder die Adressaten sind. Sprache ist das Medium des bewussten und unbewussten Denkens. Sie färbt ab. Sie wirkt. Auch wenn wir uns ihrer Wirkung oft nicht bewusst sind. Kinder übernehmen unseren Sprachgebrauch – und damit unsere Denk- und Handlungsstrukturen.

Im Wort schön in dem Satz „Du hast so schön aufgeräumt, du darfst als Erste:r raus“ verbirgt sich eine Bewertung kindlichen Verhaltens. Sie setzt alle Kinder, die langsamer aufgeräumt haben, unter Druck, denn sie nimmt ihnen die Möglichkeit, sich authentisch zu verhalten, ihre Sachen ihrem eigenen Tempo gemäß wegzuräumen. Sie fühlen sich herabgesetzt. Das kann Auswirkungen auf ihr Selbstwertgefühl haben. Die Kinder begreifen, dass sie sich anpassen müssen, um den Erwartungen der Erwachsenen gerecht zu werden. Denn nur dann können auch sie mit einer Belohnung rechnen. Also Wertschätzung und Anerkennung erfahren. Die ist aber schwer zu kriegen (genau, das Verb leitet sich von Krieg ab). Sie muss hart erkämpft werden. Denn nur eine:r kann Sieger:in sein. Dadurch wird schon früh der Konkurrenzkampf unter den Kindern geschürt. Wut, Ärger, gar Neid auf das belohnte Kind können aufkommen. Schließlich kann das Gefühl für die eigenen Bedürfnisse verloren gehen, was sich nachteilig auf ihre Entwicklung auswirkt. Mal abgesehen davon, dass schnelles Aufräumen ziemlich wenig über die wahren Begabungen eines Kindes aussagt.

Sprache und Selbstwert

Hand aufs Herz: In unseren Selbstgesprächen gehen wir doch manchmal recht hart mit uns ins Gericht. Wie oft haben wir uns im Ärger dumm genannt, wenn uns Fehler unterlaufen sind? „Ich Vollpfosten/dumme Kuh hätte mal lieber den Mund halten und auf meinen Bauch hören sollen!“ Oder es ist gar der Satz gefallen: „Ich habe versagt!“

Solche Sätze haben Auswirkungen auf unseren Selbstwert. Macht es einen Unterschied, wenn wir stattdessen sagen „Ich habe die Herausforderung angenommen. Obwohl ich mein Bestes gegeben habe, sind mir Fehler unterlaufen. Es gar nicht erst zu versuchen – das wäre wirkliches Versagen. Ich schaffe es beim nächsten Mal.“

Natürlich macht es einen Unterschied. Wenn wir mit Fehlern, die unweigerlich auftreten, wenn schwierige Aufgaben zu meistern sind, kein klägliches Scheitern, sondern ein selbstbewusstes, verantwortungsvolles Austesten von Möglichkeiten assoziieren und daraus noch Kraft für weitere Herausforderungen schöpfen, gelingt uns ein konstruktiver Umgang mit Fehlern. Der sich sogar – das belegen zahlreiche Studien – positiv auf unsere Kreativität, Leistung und Motivation auswirkt.

Sprachliche Abrüstung gefällig?

Sprache ist ein zweischneidiges Schwert. Sie kann aufbauen. Sie kann sich aber auch gegen uns richten, wie in „Flammenalphabet“ ein Gift entfalten, das zerstörerisch wirkt. Dann nämlich, wenn wir sie unreflektiert, unachtsam gebrauchen. Dagegen sind auch Menschen in Kreativberufen wie dem Schreiben, die Erfahrung im Umgang mit Worten haben, nicht gefeit.

Es lohnt sich also, sensibel zu werden für die Kraft der Sprache und den gewohnten Sprachgebrauch zu hinterfragen. Sprachlich abzurüsten und eine friedliche, heilsame Kommunikation zu pflegen, um unser Wohlbefinden, unseren Selbstwert zu steigern. Und den unserer Kinder. Denn wir tragen die Verantwortung.

 

Hartmut Schröder: Die heilende Kraft der Sprache, in: Biologische Krebsabwehr. Impulse (2015). https://www.biokrebs.de/images/download/impulse/2015_02_IMPULSE.pdf

Stephanie Hartung: „Trauma und Kriegssprache“, in: dies. (Hrsg.): Trauma in der Arbeitswelt, 2019, S. 57-73. https://www.researchgate.net/publication/331278560_Trauma_und_Kriegssprache_in_der_Wirtschaft

Lea Wedewardt: „‘Du hast so schön …‘ Sensibler Umgang mit Sprache“. https://www.beduerfnisorientierte-kinderbetreuung.de/du-hast-so-schoen-saetze-mit-weitreichenden-folgen

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