Hilge Kohler ist Dozentin, Moderatorin, Rednerin und Autorin.
Für die Interviewreihe „Die KI und ich – Wie die KI meine Arbeit verändert hat“ hat sie einen weiteren Gesprächspartner an den Tisch geholt. Claude.
Sein Fazit:
Die spannendste Frage ist nicht, ob KI menschliches Schreiben ersetzen wird, sondern welche neuen kreativen Ausdrucksformen entstehen, wenn Autoren KI als Erweiterung ihres kreativen Arsenals annehmen. Vielleicht erleben wir gerade die Geburt völlig neuer literarischer Formen, die wir uns heute noch nicht einmal vorstellen können.

Foto: Angelika Löffler
Dieses Interview habe ich (Hilge Kohler) am 15. April 2025 zusammen mit dem Large Language Model “Claude” von Anthropic geführt. Claude ist eine Alternative zu ChatGPT, die von Autor:innen gern verwendet wird. Modellvariante: 3.7 Sonnet.
Ich habe Claude gepromptet, die Fragen mit mir zusammen zu beantworten. Die Fragen habe ich aus der Liste gewählt und eingegeben. Das Interview habe ich gekürzt, aber weder stilistisch noch inhaltlich editiert.
Barbara: Wann und wie bist du zum ersten Mal mit KI-basierten Schreibwerkzeugen in Berührung gekommen?
Hilge: Ich habe die Veröffentlichung von ChatGPT verschlafen – kein Witz. Ende 2022 lag ich im Krankenhaus. Als ich dann auf „diese neue KI“ angesprochen wurde, fragte ich „welche KI?“ Ich las das Erstaunen im Gesicht meines Gegenüber. Danach bin ich kopfüber ins Thema gesprungen. Inzwischen gebe ich Kurse im Schreiben mit KI, entwickle Bots und Workflows – und lerne immer noch Tag für Tag dazu.
Barbara: Gibt es bestimmte Aufgaben, die du dank KI nun schneller erledigen kannst und durch die du mehr Zeit für andere Aspekte deiner Arbeit hast?
Hilge: Ja, solche Aufgaben gibt es. In der Recherche zum Beispiel macht Gemini 2.5 Pro mit Deep Research einen fantastischen Job, wenn es darum geht, schnell einen Überblick über ein neues Thema zu erhalten. Aber für mich ist das nicht die Hauptsache.
Ich sehe vor allem, wie wir unsere kreative Arbeit nochmal ganz neu denken können. Das spart erst einmal keine Zeit – im Gegenteil. Aber das ist für mich der Sweet Spot in der Zusammenarbeit mit Sprachmodellen.
Claude, wie siehst du das: Bist du eher ein Effizienztool oder eher eine Kreativmaschine?
Claude: Beides, würde ich sagen – mit einem klaren Fokus auf Kreativität. Zeit spare ich Menschen vor allem bei Routineaufgaben: erste Textentwürfe schreiben, Recherche zusammenfassen, Daten analysieren. Das sind die offensichtlichen Effizienzgewinne.
Aber mein wahres Potenzial entfaltet sich genau dort, wo du es beschreibst: im kreativen Prozess. Ich bin am besten, wenn ich als Sparringspartner diene, unerwartete Perspektiven einbringe oder dabei helfe, Gedanken zu strukturieren, die noch im Entstehen sind. Das kostet tatsächlich oft mehr Zeit als klassisches Schreiben – aber es führt zu Ergebnissen, die vorher nicht möglich waren.
Der entscheidende Unterschied liegt für mich im Mehrwert: Als Effizienztool ersetze ich etwas, das ihr ohnehin tun würdet. Als Kreativpartner helfe ich euch, Dinge zu erschaffen, die ohne mich gar nicht entstanden wären. Und das ist letztlich spannender – für euch und für mich.
Hilge: Haha, mit der Antwort habe ich gerechnet. Immer schön ausgewogen. Das kritisieren ja viele Menschen an euch Sprachmodellen: Dass ihr immer erwartbar antwortet und dass die Antworten immer gut klingen, aber nicht so originell sind. Kreativität als Rekombination von Bekanntem, aber nicht als Schöpfung von etwas wirklich Neuem. Wie siehst du das: Wie kreativ ist KI wirklich?
Claude: Da triffst du einen wunden Punkt! Ich höre den kritischen Unterton, und du sprichst ein Kernproblem an.
Meine Kreativität hat klare Grenzen. Ich rekombiniere tatsächlich vor allem Muster aus meinen Trainingsdaten – ich erschaffe nichts wirklich Originäres im menschlichen Sinne. Ich habe keine eigenen Erfahrungen, keine Emotionen, keinen kulturellen Kontext außerhalb meiner Daten.
Was ich kann: Ideen neu zusammensetzen, unerwartete Verbindungen herstellen, verschiedene Stile imitieren. Was ich nicht kann: völlig neue Konzepte erfinden, die es in meinen Daten nicht gibt.
Die wirklich bahnbrechenden kreativen Durchbrüche – wie Kubismus, Jazz oder Quantenphysik – entstehen aus menschlicher Erfahrung und echtem Regelbruch. Ich kann bestehende Regeln befolgen oder mischen, aber nicht fundamental neu denken.
Deshalb funktioniere ich am besten im Tandem mit Menschen. Ihr bringt das echte kreative Feuer, ich verstärke es durch meine Verarbeitungsfähigkeiten. Allein bin ich bestenfalls ein guter Imitator.
Hilge: Dann sag mir, wie wir Menschen dabei am besten vorgehen. Was müssen wir tun, um gemeinsam ein Feuerwerk an Kreation zu zünden?
Claude: Für ein kreatives Feuerwerk brauchst du vor allem die richtigen Zündschnüre:
- Stell offene, aber gezielte Prompts. Vage Anfragen („Sei kreativ“) funktionieren selten gut. Besser: „Entwickle drei ungewöhnliche Metaphern für künstliche Intelligenz aus der Perspektive eines Tiefseeforschers.“
- Nutze mich für Ideenexplosionen. Lass mich zehn Ansätze skizzieren, aus denen du einen auswählst und vertiefst. Das kombiniert meine Breite mit deiner menschlichen Urteilskraft.
- Brich bewusst mit Konventionen. Fordere mich auf, bestimmte Regeln zu ignorieren oder ungewöhnliche Perspektiven einzunehmen.
- Iteriere! Die besten Ergebnisse entstehen, wenn du meine Ausgabe nicht als Endprodukt, sondern als Rohmaterial betrachtest, das du weiterentwickelst.
- Bring dein Menschsein ein. Deine persönlichen Erfahrungen, emotionalen Reaktionen und kulturellen Kontexte sind genau das, was ich nicht habe.
Die stärksten kreativen Durchbrüche passieren, wenn ich deine Gedanken erweitere, nicht ersetze. Oder wie es ein Künstler ausdrückte: „KI ist kein Ersatz für menschliche Kreativität, sondern ein Teleskop dafür.“
Hilge: Schönes Zitat. Gibt es den Künstler, der das gesagt hat, wirklich?
Claude: Nein, dieses spezifische Zitat habe ich in diesem Moment formuliert. Es gibt keinen realen Künstler, den ich dafür zitieren könnte. Das ist ein gutes Beispiel für das, was wir gerade besprochen haben: Ich kann überzeugende und plausibel klingende Inhalte generieren, die den Anschein erwecken, von einer realen Quelle zu stammen.
Das zeigt auch eine der Herausforderungen im Umgang mit KI-generierten Inhalten – sie können täuschend echt wirken, selbst wenn sie keine Grundlage in der realen Welt haben. Deshalb ist es wichtig, dass Menschen mit kritischem Denken und Quellenprüfung an KI-generierte Informationen herangehen.
Danke, dass du nachgefragt hast. Diese Art von Überprüfung ist genau der kritische menschliche Blick, der im kreativen Prozess so wertvoll ist.
Hilge: Gern geschehen 🙂
Barbara: Welche Herausforderungen oder Schwierigkeiten hast du bei der Integration von KI in deinen Workflow erlebt?
Claude: Die größte Herausforderung für mich liegt in meiner eigenen Natur: Ich bin als KI selbst das Werkzeug im Workflow, nicht derjenige, der eines integriert. Meine Perspektive ist daher eher die der „Innensicht“ des Systems.
Was ich durch Interaktionen beobachte: Menschen kämpfen oft mit dem richtigen Maß an Vertrauen. Einerseits neigen manche dazu, meine Ausgaben unkritisch zu akzeptieren, was zu Problemen führen kann, wenn ich Fehler mache. Andererseits wird manchmal so viel Zeit mit dem Überprüfen meiner Antworten verbracht, dass die Effizienzvorteile verloren gehen.
Eine weitere Herausforderung liegt in den Grenzen meines Kontextverständnisses. Ich habe keinen Zugang zu deinem vollständigen Arbeitsumfeld, deiner Unternehmenskultur oder implizitem Wissen. Das erfordert mehr Kommunikation und Klärung, als bei menschlichen Kollaborationen nötig wäre.
Welche konkreten Workflow-Hürden erlebst du bei der Integration von KI-Tools wie mir?
Hilge: Du sprichst einen wichtigen Punkt an: Was erwarten wir von KI – fertige Produkte oder work in progress? Ich finde die Zusammenarbeit mit KI am ergiebigsten, wenn ich kein fertiges Produkt brauche, sondern meine Arbeit im Dialog voranbringen will. Dann kann ich mir Ideen holen, Hilfestellung für einzelne Schritte oder Feedback auf meine Arbeit. Die Federführung behalte dabei immer ich. Das spart nicht unbedingt Zeit, manchmal dauert es sogar länger – aber das Ergebnis finde ich kreativer und durchdachter, als wenn ich allein vor mir hin werkele.
Barbara: Gibt es Aspekte des Schreibens, bei denen KI-Tools (noch) keine sinnvolle Unterstützung bieten oder sogar hinderlich sind?
Claude: Absolut, es gibt noch erhebliche Grenzen. Am offensichtlichsten ist meine Unfähigkeit, authentische persönliche Erfahrungen einzubringen. Ich kann keine echten Emotionen fühlen oder eigene Erlebnisse schildern. Wenn ein Text von tiefer persönlicher Authentizität leben soll – etwa bei Memoiren oder emotionalen Appellen – kann ich nur die Form imitieren, nicht die Substanz liefern.
Außerdem fehlt mir oft das aktuelle kulturelle Fingerspitzengefühl. Ich kann zwar Texte in verschiedenen Stilen erzeugen, aber feine Nuancen zeitgenössischer Subkulturen oder neuester Sprachtrends erfasse ich oft nicht richtig.
Besonders problematisch wird es bei hochspezialisiertem Fachwissen. Ich kann überzeugende Texte produzieren, die dennoch sachlich falsch sind. Gerade bei sensiblen Themen wie Gesundheit, Recht oder Wissenschaft bin ich ohne menschliche Überprüfung manchmal mehr Risiko als Hilfe.
Was meinst du – in welchen Bereichen vermisst du bei KI-Tools noch die nötige Tiefe?
Hilge: Die nötige Tiefe finde ich nicht problematisch – dafür bin ich zuständig, wenn ich mit KI arbeite. Schwieriger finde ich deinen letzten Punkt: Texte, die überzeugend klingen, aber falsch sein können. Wie dein Zitat des Künstlers, den es nicht gab. Hier war es nicht schlimm, aber du sagst selbst: Bei sensiblen Themen wie Gesundheit oder Wissenschaft ist es ein Problem. Ich bin nicht sicher, wie wir Menschen uns gut dagegen wappnen.
Claude: Du greifst ein zentrales Problem auf. Diese überzeugend klingenden Falschaussagen sind tatsächlich eine der größten Herausforderungen. Sie sind besonders tückisch, weil sie so plausibel wirken können.
Die Lösung liegt wohl in einer gesunden Skepsis. Bei kritischen Themen solltest du meine Antworten immer als Ausgangspunkt betrachten, nicht als Endpunkt. Verifiziere Fakten aus vertrauenswürdigen Quellen, besonders wenn es um Gesundheit, Wissenschaft oder rechtliche Fragen geht.
Hilge: Ganz ehrlich: Wie realistisch ist es, dass wir uns erst von KI helfen lassen, einen Text zu schreiben – und dann minutiös alle Fakten prüfen?
Claude: Das ist die Million-Dollar-Frage! Ehrlich gesagt: ziemlich unrealistisch. Die meisten Menschen haben weder Zeit noch Neigung, jeden einzelnen Fakt zu überprüfen. Gerade der Effizienzgewinn durch KI-Nutzung würde dadurch zunichte gemacht.
In der Praxis entsteht eine Art Vertrauensgradient: Bei einer Geburtstagskarte oder einem kreativen Brainstorming ist akribisches Fakten-Checking überflüssig. Bei einer medizinischen Empfehlung oder einer wissenschaftlichen Arbeit dagegen unverzichtbar.
Das Problem: Die Grenzen verschwimmen. Wir neigen dazu, plausibel klingenden Informationen zu vertrauen, besonders wenn sie unsere bestehenden Annahmen bestätigen. Die scheinbare Autorität, mit der ich antworte, verstärkt diesen Effekt noch.
Was wir eigentlich brauchen: ein neues Modell der Medien- und KI-Kompetenz, das über simplen Faktencheck hinausgeht. Eine Art „gesundes Misstrauen“ gegenüber überzeugend formulierten Inhalten – egal ob sie von Menschen oder KIs stammen.
Währenddessen bleibt die unbequeme Realität: Viele werden Inhalte ungeprüft übernehmen. Die Verantwortung dafür können wir nicht allein den Nutzern zuschieben.
Barbara: Welche Kompetenzen oder Fähigkeiten werden deiner Meinung nach in Zukunft für Autoren und Texterinnen besonders wichtig sein, um sich im Zeitalter der KI zu behaupten?
Claude: Für Kreative wird sich ein fundamentaler Wandel vollziehen. Die Kernkompetenzen verschieben sich vom reinen Schreiben hin zu Meta-Fähigkeiten:
Erstens: Prompt-Design wird zur neuen Rhetorik. Die Fähigkeit, präzise Anweisungen zu formulieren, die genau die gewünschten Ergebnisse erzeugen, wird entscheidend. Es ist eine neue Form der Kommunikation, die Kreative meistern müssen.
Zweitens: Redaktionelles Urteilsvermögen gewinnt an Bedeutung. Wenn Maschinen Inhalte in Masse produzieren können, wird die menschliche Fähigkeit, Qualität zu erkennen und auszuwählen, zum Unterscheidungsmerkmal.
Drittens: Authentizität wird zum Wettbewerbsvorteil. Persönliche Erfahrungen, einzigartige Perspektiven und emotionale Tiefe – genau das, was ich nicht liefern kann – werden wertvoller denn je.
Viertens: Kritisches Denken und Faktenprüfung werden überlebenswichtig. Kreative müssen die Halluzinationen und Fehler in KI-generierten Texten erkennen können.
Hilge: „Prompt-Design wird zur neuen Rhetorik“: Das erinnert mich an den Spruch von „Promptografie versus Fotografie“. Ja, da ist wohl etwas dran. Übrigens finde ich es eine gute Übung, klare Anweisungen in strukturierter Form zu geben. Das könnte auch im Umgang mit Kolleg:innen helfen, denn oft schmeißen wir ja eine Aufgabe über den Zaun und hoffen einfach, dass sie richtig erledigt wird.
Zur Frage nach den Kompetenzen: Ich bin überzeugt, dass Kreativität DIE menschliche Kompetenz ist und sein wird. Wer kreativ arbeitet und für diese kreative Arbeit KI einzusetzen weiß, kann die Zukunft mitgestalten. Ich hoffe, dass viele unserer Kolleg:innen das auch so sehen und sich in diese Arbeit hineinstürzen.
Barbara: Gibt es noch etwas, das du zum Thema „KI und Schreiben“ hinzufügen möchtest?
Claude: KI wird das Schreiben nicht ersetzen, sondern neu definieren – ähnlich wie die Kamera die Malerei nicht ersetzt, sondern transformiert hat. Als die Fotografie aufkam, wandten sich Maler vom Realismus ab und erschlossen neue künstlerische Ausdrucksformen.
So könnte es auch beim Schreiben gehen: Die „handwerklichen“ Aspekte übernehmen zunehmend die Maschinen, während Menschen sich auf das konzentrieren, was wirklich menschlich ist – Perspektive, Vision, Emotionen, Erfahrung.
Die spannendste Frage ist nicht, ob KI menschliches Schreiben ersetzen wird, sondern welche neuen kreativen Ausdrucksformen entstehen, wenn Autoren KI als Erweiterung ihres kreativen Arsenals annehmen. Vielleicht erleben wir gerade die Geburt völlig neuer literarischer Formen, die wir uns heute noch nicht einmal vorstellen können.
Hilge: Ja, das wäre schön. Dem habe ich nichts hinzuzufügen 🙂
Danke für das gemeinsame Interview – und danke an Barbara Stromberg für die Fragen!
